i am back!

Die Sternenfrau hatte recht – ich bin mittlerweile 51 und eine Andere. Ich fühle mich aufgeräumter, gehe häufiger durch meine Angst und verlasse meine Komfortzone als würde ich zum Sport gehen.

Die Wandlungswelle, die schon vor meinem 50. Geburtstag begann, tat arg weh. Ich dachte es zerlegt mich und so vergrub ich mich, um mich zu schützen. Nur meine engsten Freunde ließ ich mich in diesem Zustand sehen. Kennst du das, wenn du dich in Selbstmitleid wälzt, ohne es zu merken? Zwei Jahre habe ich gebraucht, um zu kapieren, dass nur ich mich da rausziehen kann um wieder auf die Beine zu kommen. Mir war es gar nicht möglich, hier zu sprechen. Mir fehlten die Worte und der Schmerz saß so tief.

Der Rausschmiss vom Gutshof und das damit verbundene Ende der Täuschung hatten es in sich. Dieses von jetzt auf gleich ein Messer in den Rücken gestochen zu bekommen, nur weil ich anderer Meinung war, hat mich tief getroffen. Dieses nicht mehr gemocht, sondern als Bedrohung betrachtet zu werden, hat viele Zweifel aufgewirbelt. Dieses mich so in Menschen getäuscht zu haben hat mir die Augen geöffnet, wie groß meine Sehnsucht nach Gemeinschaft war – ich war blind vor Bedürftigkeit und habe die Herrschaftsstruktur in der ich gelandet war, nicht sehen können.

Ich saß in einem mich lähmenden Schlamm und zweifelte an allem. An mir, an meinen Mitmenschen und an der gesamten Gesellschaft.

Rado und ich mussten uns entscheiden. Finden wir eine Bleibe für uns privat oder nutzen wir den Tritt in den Arsch, um für unsere Manufaktur GUTDING endlich eine Bleibe zu finden. Wir hatten seit fünf Jahren, seit unserer Gründung 2014 keine eigene Produktionsstätte, gaben die ganze Zeit die Hoffnung nicht auf, gemeinsam mit dem Demeter-Hof vor Ort und der Gutsbesitzerin an diesem wunderschönen Ort eine zu errichten. Wir versenkten unglaublich viel Geld für die Planung einer Immobilie auf dem Gutsgelände und packten währenddessen jedes Wochenende unsere sieben GUTDING-Sachen in den Bus und später in den LKW, um nach Hamburg reinzufahren, um dort bei Freunden in der Profiküche zu produzieren. Das war unglaublich mühsam und zehrend. Wir hatten uns immer wieder darauf eingelassen, bis wir gemerkt haben, dass es uns zu riskant war mit Menschen lebenslang des Weges zu gehen, denen wir nicht zu 100% vertrauten und wo unsere Herzen zögerten. Ja, durch diese Täuschung fuhren wir seit Jahren mit gezogener Handbremse, beuteten uns selber aus und konnten gar nicht in unsere volle Gutding-Kraft kommen.

Wir wollten erst einmal eine Bleibe für unsere Manufaktur finden, um unsere Existenz zu sichern. Wir beruhigten uns, indem wir uns versprachen, uns danach, wenn wir wieder klarer sehen, um unsere Vision eine Gemeinschaft zu gründen wieder zu kümmern. Wir betrachteten den Manufaktur-Umzug nach Rickling als Zwischenlager. Das half mir.

Außerdem war ich bis aufs Mark verwirrt. Ich wusste nicht mehr, wie ich leben wollte. Ich hatte kein Zutrauen mehr in meine Mitmenschen. Die Wogen in mir mussten sich erst wieder glätten und ich wollte aus meinen Fehlern lernen. Aber ich konnte sie noch nicht einmal sehen, ich wusste nur, dass immer zwei Menschen an einer Enttäuschung beteiligt sind. Meinen Anteil konnte ich aber noch nicht erkennen. Mir war nur klar, dass ich nicht gleich in die nächste Scheiße treten wollte. Ich brauchte Zeit. Ich gab mir Zeit. Ich litt.

Mit Abstand kann ich sagen, es kam dicke, denn es kam so einiges zusammen.

Wir zerstritten uns mit dem Mann, der uns die fünf Jahren auf dem Gutshof mit seiner Kamera begleitete. Er drehte einen Dokumentarfilm über uns. Er fand uns und unsere Idee eine Gemeinschaft mit Gleichgesinnten gründen zu wollen super spannend. Er wollte unsere Willenskraft dokumentieren, wie es ist einen solchen Herzensimpuls umzusetzen. Als wir scheiterten und den Ort verließen, musste er die Dramaturgie des Filmes ändern. Mir kamen die Tränen als ich den Film zum ersten Mal schauen durfte. Mich berührte mein eigenes Schicksal. Ich konnte sehen, wie ich mich abmühte, wie ich immer wieder das Positive in der Misere sehen wollten, um ja mit der Gutsbesitzerin auf Augenhöhe zu gelangen. Ich sah im Film, gefühlvoll zusammengeschnitten, dass ich ausgesprochen naiv war und niemals die Möglichkeit dazu bekommen würde. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, dass seiner Mutter immer wieder Glauben schenkte, weil es gar nicht anders konnte. Es war abhängig von ihr.

Der Regisseur hatte es längst erkannt und hatte alles im Kasten, um den Film in seinem Narrativ zu ändern. Das tat weh. Ich konnte es zu dem Zeitpunkt nicht an mich ranlassen. Er brauchte noch ein paar Antworten auf Fragen, die ich ihm nicht mehr geben wollte. Zu stark fühlte ich mich in dem Moment zweimal als Opfer.

Im Herbst wird sein Film in dem wir die Protagonisten sind in einem Hamburger Kino vorgeführt – hier schon mal der Trailer

Der Rauswurf. Ich musste alle die Blumen, die ich in Neverstaven herangezogen und zu einem blühenden, lebensfrohen Gutsgarten gestaltet habe hinter mir lassen. Der Umzug. Die Umbaumaßnahmen. Das vorübergehende Unterkommen bei Freunden, weil wir mit dem Umbau der Gewerbeimmobilie nicht so schnell fertig wurden. Das Nebenher noch jedes Wochenende nach Hamburg reinzufahren, um dort zu produzieren. Das Dazwischen, der Schmerz gescheitert zu sein fühlen. Das kein wirkliches Privatleben mehr zu haben. Das ununterbrochene Arbeiten. Das vorübergehende Leben in der Produktionsstätte, aus dem leider drei Jahre wurden. Das Fühlen, dass ich keine 24 mehr bin und meine Kraft nachlässt. Das neue Mitarbeiter in dieser Gegend finden müssen …

… und dann kam mitten in der Bauphase auch noch Corona. Es brachte auf den Punkt, wie ich mich in dieser Welt gerade fühlte. Ich habe es nicht geschafft meine Belange der Gutsbesitzerin so zu erklären, dass ich mich gehört und gesehen fühlte und ich habe auch die der Gutsbesitzerfamilie nicht so recht hören können.

Ich meldete mich zum TIWI in der Gemeinschaft Tempelhof an – TIWI steht für Tiefes Wir. Das ist ein Wir-Prozess, zu dem sich eine Gruppe Mensch verbindlich anmeldet und die fünf Mal zusammenkommt. Ich ging auf Forschungsreise, untersuchte mein Sein in dieser Gruppe in der natürlich mitten in Corona die Fetzen flogen. Wieso können Menschen sich so dermaßen missverstehen und aufeinander losgehen? Was würden sie brauchen, damit sie einander zuhören können? Was kann ich für mich tun, damit ich zuzuhören lerne ohne mich gleich angegriffen zu fühlen? Ich war voll mit Fragen.

Nach zwei Jahren erkannte ich zum Glück etwas Grundlegendes. Ich war es, die sich aus dieser Grube des Unglückes rausziehen musste, das konnte keiner für mich übernehmen. Ich hatte mich in eine Wanne voller Selbstmitleid gelegt und versucht, es mir darin bequem zu machen. Was war aus mir geworden? Ich konzentrierte mich förmlich auf das Schlechte, war das Opfer und hoffte, dass ich gerettet werden würde.

Das wollte ich nicht mehr. Ich verließ die Wanne, startet mit einem Frauenfeuer an Vollmond und lud Frauen in meinem Umfeld ein – sie kamen. Ich wünschte mir beim Universum die Wohnung direkt neben unserer Produktionsstätte – die Nachbarn zogen aus und wir leben jetzt wieder in einer richtigen Wohnung. Ich ging in jeder freien Minute raus in den Garten und legte einen wunderschönen Bauerngarten an – er blüht gerade wunderschön. Ich meldete mich zu einer Ausbildung zur Therapeutin in Spanien an und überwand meine Englisch-Sprech-Phobie – habe mich gerade fürs dritte und vorletzte Jahr angemeldet und verstehe mittlerweile fast alles. Ich lerne noch immer, meine körperliche Veränderung anzunehmen, die mir die Wechseljahre mit den Stimmungsschwankungen sehr erschweren – ich stehe zu mir und meinem Älterwerden und poste mehr und mehr Videos für GUTDING auf Instagram ohne mich zu schminken. An Neumonden treffen sich seit Januar diesen Jahres Männer und Frauen am Feuer und sprechen über Themen wie Verbundenheit – ich würde sagen, ich bin wieder ganz da und ich bin mehr Eins geworden.

Unserem GUTDING geht es besser als je zuvor – wir konnten dank der eigenen Produktionsstätte endlich richtig Gas geben und viele neue Produkte in die Welt bringen – ich bin verliebt in unsere neusten Neuheiten. Unser Online-Shop ist richtig gut am Laufen und wir verdienen über diesen Vertriebskanal am meisten Wertschätzung. Ich fühle mich in meinem Bauerngarten der direkt neben der LKW-Zufahrt liegt deutlich stimmiger Zuhause als ich mich jemals auf dem Gutshof gefühlt habe.

Und ich bin überaus glücklich, dass ich mit zwei Freunden, mit denen ich die fünf Wir-Prozesse hab machen dürfen jetzt im Wendland bei Hamburg einen Wir-Prozess Mitte Oktober anbiete. Vielleicht ist es ja etwas für dich oder du kennst jemanden, der die Bereitschaft mitbringt sich ins Unbekannte zu begeben ohne zu wissen was wirklich geschehen wird. Ich würde mich sehr freuen, dich dort kennenzulernen.

Ja, ich würde sagen, mein Gemeinschaftswunsch ist noch lebendig, er fühlt sich nur nicht mehr ganz so hibbelig an – vielleicht ist er ja jetzt erwachsen geworden.

4 Gedanken zu „i am back!“

  1. Hey Agapi,

    auch von mir danke für deine Worte, deinen/euren Weg. Es berührt, wenn Menschen sich so offen zeigen, über sich und ihr Inneres schreiben – für mich passt das, was du hier sagst, gut zu dem Kurzfilm vor bestimmt 6 Jahren, wo du mit deinem Freund und eure Produkte zu sehen waren.

    WIR-Prozess ist sehr spannend, schön, dass du damit bist.

    Vielleicht lernen wir uns noch persönlich kennen – hier erstmal liebe Grüße für dich und euch!

    Daniel aus Karlsruhe

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