Im vergangenen Jahr wurde meine Ausbildung, für die ich seit drei Jahren drei Mal im Jahr für eine Woche nach Spanien fuhr, abrupt beendet. Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein solches Von-Jetzt-auf-Gleich so durcheinanderbringen kann. Im ersten Moment zweifelte ich an mir. Bestimmt hatte ich nicht alles richtig verstanden. Wir verständigten uns alle auf Englisch und dann ging auf einmal auch alles so schnell und die ersten Teilnehmerinnen brachen auf. Wir saßen im Abschlusskreis. Die Leitung bedankte sich mehr oder weniger im Nebensatz bei ihrer Crew und sagte etwas wie: Wir nehmen uns den Sommer über Zeit um zu schauen, wie es weitergehen kann.
Die Stimmung ging bei allen in verschiedene Richtungen. Ich entschied mich für: Okay, das war jetzt echt unprofessionell! Aber hey, mir doch egal, wenn ich ehrlich bin, war ich mir eh nicht sicher, ob ich das vierte Ausbildungsjahr, welches auch mein Abschussjahr wäre, überhaupt absolvieren wollte.
Das Raunen unter den Studenten begann, wurde wellenartig mächtiger und verunsicherte mich zunehmend. Ich wartete lange auf einen Brief von der Ausbildungsleitung und verfasste in Gedanken mehrmals einen an sie. Nach einer Weile entstand dann auch in mir ein Mix aus Gefühlen – Trauer, Wut, Frustration – alles kam zusammen und brodelte in mir. Ich erschrak über mein Anspruchsdenken und über meine Verachtung. Gedanken wie: Sie konnten doch nicht einfach aufhören! Sie kümmern sich gar nicht um ihre Studenten!
Natürlich gesellte sich auch immer mal wieder die Dankbarkeit für das was ich bisher lernen durfte dazu. Doch machte sie nicht so viel Lärm und wurde oft aus dem Raum gedrängt. Irgendwann bäumte sich der Frust im Studenten-Chat seltener auf und die Leitung begann nach den Sommerferien wieder, wie die Jahre, verschiedene Wochendkurse in Europa anzubieten. Als wenn nichts gewesen wäre. Ich kochte! Ich schwor mir, niemalsnie wieder zu einem ihrer Kurse zu gehen und merkte, wie ich sogar diejenigen, die sie besuchten als Jünger abstempelte und mich gleichzeitig dafür schämte. Es tat weh.
Aber was genau tat weh? War es meine Enttäuschung über das Verhalten der Leitung? War es ihre Unfähigkeit, uns nicht mit einzubeziehen? Oft hatte ich mich in sie hineinversetzt und verschiedene Szenarien durchgespielt. Die Wie-kams-dazu-Fetzen, die zu mir durchsickerten, nahm ich als Basis. Aber egal, wo ich auch ansetzte, um ein besseres Ende zu schreiben, ich scheiterte.
Wenn Eltern beschließen, sich zu trennen und ihre Kinder vor vollendete Tatsachen stellen, dann ist dies immer schmerzhaft. Kinder in die Trennung mit einzubeziehen könnte ich mir auch als traumatisierend vorstellen. Sie können doch niemals verstehen oder gar nachfühlen, wieso sich Eltern trennen wollen. Oder doch? Ich bin ein altes Scheidungskind – ich war bereits ausgezogen, als es passierte. Wenn ich mich so zurückerinnere, hätte es mir gut getan mehr über die dunklen Wolken zu erfahren, die ohnehin über unserer Familie hingen.
Ich stelle mir jetzt mal fähige Eltern vor, die an den Punkt einer Trennung kommen. Im Laufe des Lebens verändern wir uns, schlagen vielleicht unterschiedliche Richtungen ein und wenn diese dann so weit weg vom Partner sind, ja, dann kann das auch mal bedeuten, dass sich die Wege trennen. Das ist, denke ich, auch nicht das Schlimme. Das Fiese ist, wenn sich der eine oder die andere dadurch verletzt fühlt. Dann macht sich, glaube ich, diese Unfähigkeit breit. Die Unfähigkeit miteinander zu sprechen und auch die Betroffenen drüber – ohne Anklage – zu informieren. Gut im Sattel sitzend und reflektiert über das, was sie von einander trennt, wäre es den fähigen Eltern doch möglich, ihre Kinder darüber liebevoll in Kenntnis zu setzen und ihnen auch das Gefühl zu vermitteln, dass es nichts mit ihnen zu tun hat und sie in Sicherheit sind.
Im Mai letzten Jahres hatte ich mit einer langjährigen Freundin einen Podcast gestartet, bereits im Anfangsbrainstorming hörte ich es rasseln – da brauste der Wind der unterschiedlichen Bedürfnisse um uns herum. Ich mochte es, weil wir diesen unbequemen Part in unserer Freundschaft bisher mieden; merkte jedoch auch meine Anspannung. Was wenn … ? Es bitzelte des Öfteren und ich merkte, wie ungewohnt es für uns war. Immer wieder fragte ich mich, ob das schon schlimm sei oder ob es einfach zum gemeinsamen Projekt stemmen dazugehöre? Mir fehlt definitiv eine Streitkultur. Und das sich in Beziehungen reiben können ohne gleich an ein Aus zu denken, ist mir fremd!
Das leidige Einander vergleichen wurde mehr; und unsere Rockzipfel verfingen sich, wir stolperten, die Atem stockten und dann waren da auch schon wieder diese dunklen Wolken. Das Verständnis, die Zugewandtheit und das Vertrauen schrumpften zu einem mickrigen Nichts und aus Angst vor dem Unbekannten fühlte sich jede von der anderen auf die Füße getreten – mitunter sogar gemein behandelt.
Ich sah mich plötzlich alleine am Bahnsteig gen Süden stehen. In mir war ein merkwürdiges neues Gefühl – es war völlig okay alleine weiterzureisen und auch, dass ich jemanden gekränkt hatte. In mir wuchs sogar eine Freude. Was, wenn ich mittlerweile akzeptieren kann, dass es eben unschöne Enden gibt und dies nichts mit mir zu tun hat. Solange ich nicht in der Lage bin, meine Mitmenschen und mich stehen zu lassen mit unseren unterschiedlichen Gefühlen und Meinungen, wird es wohl stark emotionale Enden geben.
Wer nicht sprechen will, den kann ich nicht zum Sprechen zwingen, wer sich abwendet, den kann ich höchstens bitten, sich mir zuzuwenden und wer von mir enttäuscht ist, hatte wohl ein Bild vor Augen, wie ich zu sein hätte.
Meine Mutter hat mir zum Jahresende noch geantwortet, nachdem ich ihr schrieb, dass ich jetzt offen wäre für eine Begegnung. Dass ich unsicher sei, ob es gut geht. Dass ich es probieren möchte und dass ich es bedaure, dass wir keine lebendige Beziehung zueinander haben. Ein erneuter Annäherungsversuch in den 17 Jahren ohne Kontakt.
Ich aktivierte in mir den Schnell-Kompostierer, um ihre Antwort zu durchlieben.
„Es freut mich sehr, dass du dich mit mir treffen möchtest. Doch möchte ich dich erinnern: Wir leben im Hier und Jetzt und daran möchte ich mich halten. Hoffentlich verstehst du das.“
Nun, ich verstehe es. Im Jahr davor hatte ich mich wieder einmal von ihr abgewandt, weil sie meinem Anliegen nach Austausch über Unausgesprochenes nicht nachkommen wollte. Lebewohl hatte ich ihr geschrieben. Es tat zu sehr weh, dass ich es akzeptieren musste, dass ich mit ihr nichts aufarbeiten durfte.
Doch ich möchte meine Mutter in ihrem Wunsch akzeptieren üben, um mir meinen Wunsch zu erfüllen. Ich möchte ihr wieder näherkommen, um für mich Friedensarbeit zu leisten. Ich möchte mich darin üben, ihr in echt zu begegnen, um meinen Schmerz aus der Kindheit umzuwandeln. Ich bin nun Erwachsen und ein freier Mensch – ich kann in unserer Beziehung etwas verändern. Ich kann mich um mich sorgen. Was brauche ich, um aus dem ganzen friedlich heraus gehen zu können?
Morgen erblickt die erste Folge meines neuen Podcast das Licht der Welt.
AGAPI PUR – GESPRÄCHE MIT GRUND
Der Podcast über Mütter und andere Herausforderungen
Hier treffe ich Menschen, deren vorherige Begegnungen mich elektrisiert haben – jede auf eigene, lebendige und magische Weise. Was diese Begegnungen so besonders macht? Es sind die Momente in denen wir uns wirklich zuhören. Keine vorschnellen Kommentare, keine gut gemeinten Ratschläge. Stattdessen: Raum für das Unerwartete. Zeit zum Nachdenken. Die Freiheit, auch mal ratlos zu sein.
Hier entstehen Gespräche, die unter die Haut gehen. Die eigene Wahrheiten hinterfragen lassen, ohne sie zu verurteilen. Die neue Perspektiven öffnen, weil sie Unterschiede nicht einebnen, sondern würdigen.
Sei dabei, wenn wir gemeinsam Neuland betreten. Ohne Netz und doppelten Boden, dafür mit echtem Interesse am Gegenüber. Und ja – manches wird offen bleiben. Genau das macht es spannend.
Liebe Agapi, deine Zeilen haben mich ganz tief berührt, so wunderschön wie du das alles beschrieben hast.
So viel Wachstum und Transformation ❤️
Ich freue mich auf morgen, herzliche Grüsse
Daniela
boar, danke daniela!
ich merke grade, wie sich mein herz vor freude reckt und streckt.
und das du mitfieberst kriebbelt richtig schön.
Ich lese gerne Deine Texte über Deine Entwicklung. Danke für Deine Durchlässigkeit oder Offenheit.
hui, ich merke wie mich deine zeilen berühren, maurice und ich mich wie bolle darüber freue wieder von dir zu hören …
… du begleitest mich ja nun schon so lange, von anfang an, glaube ich … danke dir!