Im Frühtau

Das war vielleicht ein Oster-Wochenende. Ich bin bis oben hin voll mit Eindrücken. Es scheint mir, als würde ich sie noch immer verdaue.
So viel neues, schönes, ehrliches und tiefes. Noch bevor wir nach Westen aufgebrochen sind, hatte ich einen bewegten Samstag. Alleine die Verkaufs-Wagen-Recherche auf dem Ottenser Wochenmarkt hatte mehr für mir zu bieten, als ich je ahnen konnte. Da schaute doch am Kattendorfer-Hof-Stand ein alter Bekannter hinterm Tresen hervor. Er packte Kartoffeln in Papiertüten. Ich habe ihn Jahre nicht gesehen.

Ich stellte mich zu den anderen Kunden und wartete bis ich dran war. Immer wenn eine Kunden-Pause war, dann tauschten wir schnell unsere Gerade-uns-bewegenden-Themen aus. Wir erkannten schnell, dass uns ähnliches beschäftigt und so nahm er sich die Zeit und setzte sich kurz mit mir in die Sonne. Ein tiefsinniger Intensionen-Austausch folgte, der ein weiteres Treffen nach sich zieht. Danke Mathias, dass Du Dir die Zeit genommen hast.

Rado und ich besuchen Mathias nächste Woche auf seinem Hof.
Er ist Bauer, das hatte ich gar nicht auf dem Zettel.

Das Wetter war herrlich-schön und so pilgerte ich wieder zurück in die Schanze, nahm auf dem Rückweg andere Wege und merkte, das mich die Stadt mit ihrem eigenen Rhythmus verwirrt. Ich muss wohl durch mein Leben auf dem Land schon so sehr entschleunigt haben, dass mich die vielen Autos und Menschen ganz wuschig machen.

Zum Glück hatte ich mich mit meiner Freundin Hanna in einem abgelegenen Café in der Schanze verabredet, sonst wäre ich überladen von Emotionen irgendwann umgekippt. So schien die Sonne uns ins Gesicht, die Menschen um uns herum vergaßen wir nach ein paar Minuten schon und ließen uns nieder in tiefe Gespräche. Mir pullerten irgendwann die Tränen über die Wange. Ich bin so glücklich, dass ich mittlerweile Weinen kann, wenn mich etwas bewegt. Das hätte ich früher nicht zugelassen. Das wäre mir peinlich gewesen. Heute merke ich, wie mich etwas berührt, an mir rührt und auch, dass es mich betrifft und dann fühle ich so viel. Meine harte Schale um mich herum ist weicher geworden. Es ist noch ungewohnt mit all dem Gefühlten im öffentlichen Raum zu sein und damit umzugehen muss ich noch üben, aber das abgelegene Etablissement war genau richtig dafür und dank der Sonne hatte ich die Möglichkeit meine Tränen hinter einer coolen Sonnenbrille zu verbergen. Nur Hanna durfte meiner Ergriffenheit beiwohnen. Ihr teilte ich meine Gefühle mit. Danke Hanna für Deine Offenheit und danke, dass Du Dich mit mir so austauschen magst.

Die Fahrt nach Westen am folgenden Tag kam mir wie eine kleine Pause vom intensiven Menschsein vor. Das Geradeaus auf der Autobahn kann so wohltuend schlicht und heilsam sein. Und dann waren wir schon mitten unter den Gleichgesinnten in Westen. Man setzte uns unkompliziert an die lange Tafelrunde im Garten, Kinder wuselten in allen Altersklassen um den Tisch herum, fuhren Trecker, befüllten irgendwelche Plastik-Gülle-Wagen oder kletterten auf die daneben stehende Rutsche. Ehe ich mich bemühen konnte ganz entspannt in diese Gemeinschaft einzutauchen, war ich schon untergeduckt worden. Sie waren alle so herzlich, einladend, fürsorglich und gastfreundlich. Wir waren keine Gäste, wir waren ein Teil von ihnen. Ein sehr feines Gefühl machte es sich auf meinem Schoß gemütlich.

Nur das Osterfeuer auf der Feuerwehr-Wiese erinnerte mich stark an das, was ich mal mit einem meiner Ex-Ex-Ex-Freunde in der Wedeler-Umgebung erleben durfte. Ich fühlte mich damals schon wie von einem anderen Stern. Diesmal war es deutlich besser. Ich fühlte mich diesmal wie ein Ausserirdischer, der bereits ein paar Jahre Planet Erde auf dem Buckel hat. Es kratzte mich nicht mehr so sehr, dass andere Menschen andere, so mir doch sehr fremde Sitten haben.

Nur als ein sehr blasses Kind, dass gerade mal laufen gelernt hatte, sich von seiner kräftig-beleibten-Sippe abwandte und zu mir tapste, sich auf meinem Schneidersitz-Bein niederließ und zu meines Gleichen schaute als wenn es das normalste von der Welt war, da war ich irritiert. Nein, ich irritierte erst, als der Vater “das Kindergeld behalten aber wir!” sagte und bestimmt witzig sein wollte. Nein, das zarte Element was auf meinem Schoß saß irritierte mich. Es war so fein, so biegsam noch und mit seinem Plumps-vom-Himmel war entschieden, welche Gesellschaftliche Laufbahn es nehmen würde. Das war es, was mich bewegte.

Die Mutter kam wieder und reichte dem zarten Wesen mit den Worten “Iss, damit du groß und stark wirst” Pommes-rot-weiß.

Westen ist ein Dorf mit über 1.000 Einwohnern, die sich unterteilen in konventionelle und unkonventionelle. Wir setzten uns später zur unkonventionellen Sippe, die uns liebevoll einsammelte. “Wir sitzen da hinten, kommt doch zu uns! Ihr erkennt uns sofort. Da parken ganz viele Kinderkarren.” Und wirklich, in Westen haben sich viele Menschen eines Schlages zusammen gefunden. Es gibt dort mehrere Bioland-Bauern und dadurch natürlich auch mehrere Gleichgesinnte, die zueinander finden. Und damit sie sich nicht nur in ihren Kreisen zusammen finden haben die älteren der Gleichgesinnten einen Gasthof an der Dorfstraße bezogen und macen dort jetzt jeden Mittwoch eine Kneipe oder auch mal Kino oder irgendetwas verbindendes. Das bringt dann die Dörfler, egal ob konventionell oder nicht zusammen. Davor ziehe ich den Hut. Genauso wie vor der ins Leben gerufenen Volksküche im ehemaligen Rathaus, welch herzallerliebste Idee.

Mich bewegt das wahrgenommene, ich werde es sacken lassen. So auch der Besuch zwei Tage später bei Borco-Höhns in Rotenburg an der Wümme, der mich schwerstens zerzaust hat. Dort haben wir uns noch diverse Verkaufs-Fahrzeuge für GUTDING angeschaut. Ein gebrauchtes Fahrzeug für unsere Zwecke hatten sie nicht und sehen sie auch nicht eintrudeln. Wir müssten neu bestellen und das dauert ein halbes Jahr. Nach kurzem frustrierten Zusammenbrechens habe ich mich wieder berappelt und sehe wieder Licht am Ende des Tunnels. Es kamen schon neue Ideen, die es jetzt anzugehen gilt!

Gesättigt von all dem Vielen mache ich jetzt eine Mini-Fastenzeit und wandere jetzt erst mal meinen liebsten Wanderpfad, um mein Inneres vom Frieden der Natur beschlichten zu lassen.

Und vielleicht sinde ich ja dabei
“Im Frühtau zu Berge wir geh´n, fallera,
es grünen die Wälder, die Höhn, fallera.
Wir wandern ohne Sorgen
singend in den Morgen
noch ehe im Tale die Hähne kräh´n.”

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