Indianer kennt Schmerz

Ich bin noch beim Mich-Entwickeln. Das dauert! Dazu kommt, das sich Dem-Wachsen-stellen ans Herz geht und aufs Gemüt schlägt. Natürlich nur, wenn man sich nicht ablenken kann. Und hier in der Walachei hat es so gar nichts, was mich ablenken könnte. Hier höre ich den ganzen Tag meine Gefühle lautstark in mir sprechen. Hier gibt es keine Fenster-der-Nachbarn in die ich schauen kann, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Hier ärgern mich keine turbulenten Stadt-Rhythmen in die ich mich gar erregt stürzen könnte, wenn ich denn wollte. Nichts und niemand ist hier, der mich für den Moment eines Lunch-Termins mitreist und zerzaust. Okay, mich hat die Auch-nachts-hell-erleuchtete-Stadt am Ende echt genervt, jetzt aber vermisse ich sie ein Stück weit. Die Stille hier auf dem Land und in mir, bringen mich an manchen Tagen um. Die Dunkelheit, die schon Nachmittags das Zu-Bett-gehen simuliert und mich noch besinnlicher werden lässt, als ich es ohnehin schon bin. Das alles ist kaum mehr für mich Ex-Workaholic zu ertragen. Da stehe ich so allein-gelassen-penetrant vor meinem eigenen Ich und frage mich, ob ich dieses Häufchen Noch-Werdendes-Menschenkind wirklich bin.
All das und noch vieles mehr habe ich in den letzten Tagen in mein Inneres-Haus herein-spazieren lassen. Ich sag Euch, da ging es hoch her und tief in den Keller. Und nebenher habe ich mich der Aussenwelt gestellt, weil ich mir auch da 100 Prozent treu werden will und weil es ohne ja auch nicht geht. Ich habe probiert der Aussenwelt mal ganz anders gegenüber zu treten. Ja, ich hab meine zarte Seite zu einer Geburtstagsfeier mitgenommen. Ich hab sie sozusagen ausgeführt, vorgestellt und ihr Raum gegeben.

Das ist mit mir gar nicht so ohne weiteres möglich, ich war lange auf einem anderen Kurs unterwegs. Das zu ändern, Schwäche zu erlauben und einzugestehen, das ist wie falschrum Auto fahren. Das zwickt, pieckt, kratzt, juckt und ist hölle ungewohnt.

Irre, ich bin tatsächlich so konditioniert, immer stark sein zu müssen, ich darf gar niemals schwach sein und ich muss immer können können. Dabei kann ich das nicht. Das kann keiner.

Gedanklich kreise ich seit Tagen um meine Bedürftigkeit. “Meine Bedürftigkeit ist meine größte Falle” sagt meine Therapeutin häufig und ich muss gestehen, das ich den Satz am Anfang jedes mal hörte, als sei es das erste mal. So schnell verdrängte ich ihn wieder. Das muss was mit meiner Bedürftigkeit zu tun gehabt haben.

In letzter Zeit kommt mir der Satz von alleine in den Kopf. Dann horche ich auf. Ich will ja nichts verpassen und wachsen. Die ersten Male habe ich mich umgeschaut, ob jemand sieht, das ich meine Bedürftigkeit gerade wahrnehme und auf die Schliche kommen will. Aber die anderen waren gerade mit ihrer eigenen Bedürftigkeit am tanzen. Es ist unglaublich, als ich begonnen habe auf meine Bedürftigkeit zu achten, da flammte mir auch die der anderen in die Augen.

Mich erhellte eine Erkenntnis. Wir sind alle bedürftig! Ich bin gar nicht aussergewöhnlich. Wo ich hinschaue, grüßt mich Bedürftigkeit!

Ich bemerkte an so mancher Stelle meine Bedürftigkeit und das ließ mich erschrecken. Ausserdem nervt es mich. Bedürftig zu sein ist doch nicht sexy. Das ist das letzte. Ich bin das letzte!

So geht das die ganze Zeit. Dann brauche ich reichlich Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen. Zum Glück komme ich immer wieder auf die Beine.

Ich versuche mal zu kombiniere. Also, als Kind hätte mich meine Bedürftigkeit gekillt, wenn ich sie zugelassen hätte, als Unternehmerin durfte ich nicht bedürftig sein, da musste ich Bedürfnisse wecken. Da war es wichtig tagtäglich aufgeweckt-sexy rüberzukommen, gut-drauf und innovativ-vorrausschauend zu sein. Mit meiner Agentur habe ich anderen aus dem Quark geholfen, ihnen was von meiner Power abgegeben, sie schön gemacht, aufgefrischt oder ihnen Freude, Aufmerksamkeit und Zuversicht geschenkt.

Gut, dass ich mich schon in der Kindheit vergessen hatte. Darin war ich geübt. Ich konnte mich super zurücknehmen. Das ist das, was ein guter Dienstleister können muss.

Dummerweise hab ich mich dabei gänzlich vergessen. All die Jahre hab ich mir vorgespielt, nicht Bedürftig zu sein und nun platzt endgültig die Hutschnur. Nicht doch oder besser endlich!

Ich trage ein Päckchen Bedürftigkeit auf dem Rücken. Ich kaschiere es gekonnt. Man sieht nur einen leichten Höcker auf meinem Rücken. Aber ich will das nicht mehr. Ich will damit jetzt auch nicht im Zirkus auftreten, Bedürftigkeit bleibt unattraktiv, aber ich will sie auch nicht mehr verstecken. Ich will sie transformieren.

Es muss doch möglich sein, dass ich beginne mich ernst zu nehmen und mich wahrzunehmen mit meinen Wünschen. Ich möchte mich selber in den Arm nehmen können, mit mir mitfühle und mich traurig und erschöpft fühlen dürfen. Ich will Mich-verunsichernden-Sätzen-von-Anderen selbstbewusst gegenüber stellen können, weil ich mich liebhab und mich in Schutz nehmen will. Ich glaube, Indianer kennen Schmerzen, also will ich auch mal sagen können “Das tat jetzt aber weh!”

Ich will meiner Bedürftigkeit weiter auf den Grund gehen, um nicht mehr über sie zu stolpern. Und wenn ich sie irgendwann gut kenne, dann kann ich vielleicht ja ganz gezielt mit ihr tanzen. Wohlwissend, das ich hier und da ein Defizit habe. Ich bin ein Mensch mit Seelen-Behinderung, na und?! Ich bin trotzdem ein ganz feiner Mensch, vielleicht sogar, weil ich meiner Bedürftigkeit auf die Schliche komme und bald schon weiß, wie Mich-in-den-Arm-nehmen geht. Okay, sie kann meine Falle sein, wenn ich sie nicht kenne, aber auch ein wunder-toller Motor, wenn ich sie kenne und umwandle.

Howgh, ich habe gesprochen!

2 Gedanken zu „Indianer kennt Schmerz“

  1. Liebe Agapi, du mutigste. Ich lieb deinen Blog .j
    a ja das kenn ich (100x) aber ich nenne es eher Sehnsucht ! und Sehnsucht ist sexy . behaupte ich . Menschen , die sich zu ihrer Sehnsucht bekennen , bekennen sich zur Liebe und Sehnsucht nach selbiger -oder ? und daran kann nix falsch sein. Find ich! Lern ich gerade. Blöd und unsexy wird es erst wenn du dich bedürftig/sehnsüchtig in die Welt stellt und von anderen erwartest , das sie dich satt machen. Howgh . umärmel von Jutta

  2. Liebe Jutta, da muss ich erst einmal drüber brüten.
    Wenn ich bedürftig oder sagen wir sehnsüchtig in die Welt gehe und dort meinen Hunger und Durst stillen will, weil ich danach lüsternd verlange, dann ist ein schmerzhaftes Unterfangen garantiert. Ja, doofe nur, dass ich es selber in dem Moment nicht merk.

    Aber das ist genau mein Ziel. Ich will meine Bedürftigkeit, sagen wir ungebändigte, ungeduldige und hecktische Sehnsüchtigkeit kennen lernen, um dann das Beste aus ihr zu machen. Du hast Recht, dass liegt feist nah beieinander. Eben dieser Motor, der alles zum laufen bringt und das Dynamit, das an falscher Stelle zünden kann und dann alles verwüstet. Ja, ich will die ungezügelte Sehnsuchts-Bedürftigkeit gesunden lassen, zur Ruhe kommen lassen und umwandeln in etwas, dass ich dann leidenschaftlich mache, das mich erfreut und mich glücklich macht, weil ich dann zufrieden bin. Dann sorge ich mich um mich.

    Oder?

    Ich glaub, solange ich wie ein spitzer Hund rumlaufen, bin ich bedürftig. Sobald ich weiß, dass ich so pennetrierend umherflitzen und etwas dagegen unternehme, um mein Feuer soweit zu stillen, dass ich nichts verbrenne, wenn ich es berühre dann könnte das was herrliches mit mir werden, was mit Leidenschaft und voller Sehnsucht.

    Danke, Jutta.
    Howgh.
    Gute Nacht.
    Agapi

Kommentare sind geschlossen.